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Und sie verlagern doch - Schienengüterverkehr aus Sicht der Bahnkunden

Medienkonferenz mit Migros, Cargo Domizil, Transwaggon und Hupac

Zürich, 16.2.2012 - Der Bundesrat zeichnet im Verlagerungsbericht das düstere Bild des Scheiterns des Verlagerungsziels und regt eine breite politische Diskussion zu neuen Verlagerungsmitteln an. Die Schweizer Unternehmen stellen sich dieser Herausforderung und zeigen auf, was passieren muss, damit sich die Bahn im Wettbewerb gegenüber der Strasse behaupten und langfristig erfolgreich wirtschaften kann.


> Mit Stellungnahmen von MIGROS, CARGO DOMIZIL, TRANSWAGGON und HUPAC

 

Bahnland Schweiz   Der Güterverkehr auf der Schiene spielt in der Schweiz eine herausragende Rolle.
Rund 36% der gesamten Güterverkehrsleistung wird von der Schiene bestritten, mehr als doppelt so viel wie im Personenverkehr, wo der Anteil gegenüber dem motorisierten Privatverkehr nur 17% beträgt. Damit steht die Schweiz international an der Spitze. Güter auf der Schiene statt auf der Strasse zu transportieren bedeutet mehr Sicherheit, mehr Freiraum für den Individualverkehr auf der Strasse, weniger Schadstoffemissionen, geringerer Energieverbrauch und weniger Lärm. Selbstverständlich kann nicht jedes Gut auf jeder Strecke per Bahn befördert werden – es braucht ein sinnvolles Miteinander mit dem Lkw. Doch generell muss der Güterverkehr im Schienensystem adäquat berücksichtigt werden, wenn er weiterhin eine wichtige Rolle im Bahnland Schweiz spielen soll.

 

Güterverkehr auf das Abstellgleis?   Die schlechten Wettbewerbsbedingungen für den Güterverkehr gegenüber dem Personenverkehr sind der Branche denn auch ein Dorn im Auge. „Der Güterverkehr erhält die letzte Priorität im Verkehr, seine Anforderungen werden bei der Infrastrukturentwicklung nur
nachgeordnet und sehr schleppend berücksichtigt, und er zahlt zudem einen Preis für die Netzbenutzung, der in keinem Verhältnis zur angebotenen Leistung steht“, moniert Frank Furrer, Geschäftsführer des VAP Verband der verladenden Wirtschaft. Auch für den nicht-alpenquerenden Güterverkehr brauche es ein Verlagerungsziel, welches gesetzlich zu verankern sei. „Die Verlader zahlen flächendeckend LSVA, die im Fonds für Eisenbahngrossprojekte (FinöV) bzw. im neuen Bahninfrastrukturfonds (BIF) zu zwei Dritteln eingesetzt werden“, so Furrer. „Sie haben daher auch einen Anspruch darauf, dass die Eidgenossenschaft dem Bahngüterverkehr einen angemessenen Platz einräumt.“ Auf der Wunschliste der Verlader stehen Infrastrukturausbauten für den Güterverkehr, eine leistungsfähigere SBB Cargo sowie weitere Liberalisierungsschritte.

 

Fehlende Investitionen und nicht nachhaltige Finanzierungen schaden künftigen Generationen Leistungsfähige Infrastrukturen sind ein wichtiger Standortfaktor für die Schweiz. Diese müssen strategisch geplant und solide finanziert werden, unterstreicht Dominique Reber, Leiter Infrastrukturen vom Verband der Schweizer Unternehmen economiesuisse. Mit der Botschaft zur Finanzierung und zum Ausbau der Bahninfrastruktur (FABI) wählt der Bundesrat einen Ansatz, der die Finanzierung als zentrales Element darstellt. Es ist grundsätzlich positiv, dass einmalige und laufende Kosten aus einem Gefäss bezahlt werden, und ebenso, dass die laufenden Kosten gedeckt sein müssen – notfalls auf Kosten von neuen Ausbauten. Eine Fondslösung betrachtet economiesuisse aus finanzpolitischer Sicht jedoch lediglich als eine „second best“-Lösung. Wird ein neuer Fonds angestrebt, ist seine Schaffung zwingend an strikte Bedingungen zu knüpfen und zu befristen. Neue Infrastrukturprojekte müssen zudem nach einheitlichen, transparenten volks- und betriebswirtschaftlichen Rentabilitätskriterien priorisiert werden. Die Infrastrukturen sind möglichst weit durch die Bahnnutzer über Tarife bzw. Preise selbst zu finanzieren. Einer Ausdehnung der Quersubventionierung kann economiesuisse nicht zustimmen. “Das System muss sich selber tragen und darf nicht auf Kosten der künftigen Generationen entwickelt werden”, fordert Reber. Transparenz und Kostenwahrheit sind ein wichtiger Schritt. Auch scheinen Potenziale für Effizienzsteigerungen namentlich durch die Betreiber nach wie vor noch zu wenig ausgenutzt. Weiter sind die bestehenden Zielkonflikte zwischen der Umsetzung des Güterverlagerungsauftrags und der rigorosen Priorisierung des Personenverkehrs anzugehen.

 

Wieviel Fläche verträgt der Wagenladungsverkehr?   Für die Verladerschaft ist die Sanierung von SBB Cargo als Betreiberin des schweizerischen Wagenladungsverkehrsnetzes von hoher Priorität. Die Grösse des Bediennetzes muss in einem gesunden Verhältnis zu den Kosten stehen, um erfolgreich wirtschaften und nachhaltig bestehen zu können. Für Bernhard Metzger, Transportchef von Migros und Vizepräsident des Branchenverbandes Swiss Shippers‘ Council, ist es wichtig, dass SBB Cargo möglichst schnell eine schlanke Struktur und eine hohe Effizienz erreicht: „Unabhängig von Veränderungen im Bediennetz hat SBB Cargo noch viel internes Optimierungspotenzial, beispielsweise im Bereich der Informatiksysteme, der finanziellen Transparenz und der Reduktion des Overheads“. Für einen langfristig stabilisierten Wagenladungsverkehr ist entscheidend, dass die Sanierungsaktivitäten bei SBB Cargo, insbesondere was den zeitlichen Ablauf betrifft, mit der aktuell behandelten Motion „Schienengüterverkehr in der Fläche“ abgestimmt werden. Die Definition eines zukunftsorientierten Bediennetzes kann nur im engen Dialog mit den Bahnkunden erfolgen. Wirtschaftlich unrentable Bedienpunkte müssen geschlossen und wenn möglich mit alternativen Logistiklösungen im kombinierten Verkehr bedient werden, falls die Besteller - unter Umständen mit selektiver Unterstützung der öffentlichen Hand (primär Gemeinden und Kantone) - nicht bereit sein sollten, die Finanzierung dieser Bedienpunkte sicher zu stellen. Der Bund als Eigner ist gefordert, mit SBB Cargo ein zeitlich befristetes Abgeltungsmodell zu vereinbaren, das während der Umstrukturie-rungsphase die Finanzierung des Betriebs regelt. Demzufolge ist der Leistungsauftrag des Bundes an die SBB Cargo für die Jahre 2013 bis 2016 entsprechend anzupassen. Dies setzt auch weitere Liberalisierungs-schritte, vor allem aber angemessenere Netzzugangsbestimmungen und Trassenpreise voraus.

 

Erfolgreiches Konzept für Stückguttransporte   Ein Beispiel für ein erfolgreiches Schienengüterverkehrs-konzept im Binnenverkehr ist Cargo Domizil. Das ehemals defizitäre System der SBB wurde 1996 von Planzer Transport AG, Galliker Transport AG und Camion Transport AG übernommen. Mit einem Dutzend schienenseitigen Bedienpunkten bietet Cargo Domizil Door-to-door Transportleistungen in der ganzen Schweiz an. Rund 100.000 Lkw-Sendungen bewegt das System pro Jahr: die langen Strecken auf der Schiene, die Feinverteilung auf der Strasse. „Als Strassentransporteure wissen wir genau, an welchen Stellschrauben wir drehen müssen, um Transporte auch auf der Schiene wettbewerbsfähig abzuwickeln“, sagt Josef Jäger, VR-Präsident von Cargo Domizil. Schlanke Führungsstruktur, stabile Prozesse, wenig Schnittstellen, robuste IT sind zentrale Faktoren. „Wir beschränken uns auf zehn Bedienpunkte für die ganze Schweiz. So fahren die Sendungen gebündelt, und die Züge sind gut ausgelastet“, erläutert Jäger. Entscheidend für die künftige Entwicklung ist die Überwindung von Kapazitätsengpässen sowie die Vorhaltung von ausreichenden Terminalkapazitäten unter Einbezug der Raumplanung.

 

Wagenladungsverkehr im Wandel   Der konventionelle Güterverkehr ist längst nicht mehr die reine „Punkt zu-Punkt-Verbindung“ zwischen zwei Anschlussgleisen, sondern hat sich den Marktanforderungen und Marktgegebenheiten angepasst. Auch bei TRANSWAGGON setzt man zunehmend auf die Kombination zwischen Schiene im Hauptlauf und Strasse im Nachlauf. „Der Wagenladungsverkehr verzeichnet deutliche Verluste im alpenquerenden Güterverkehr“, so Ümit Sarigecili, Controlling Verkauf von TRANSWAGGON. Die transportierten Güterarten stehen in direkter Konkurrenz zur Strasse, weshalb eine gewisse Abwanderung vom Wagenladungs- zum kombinierten Verkehr zu beobachten sei. Sinnvoll sei eine Gleichstellung zwischen den beiden Transportarten, um ein leistungsstarkes, faires und nachhaltiges Dienstleistungsangebot am Markt zu platzieren und um als Schienenanbieter gemeinsam einen wirkungsvolleren Beitrag zum Verlagerungsziel zu leisten. Interessante Perspektiven bietet auch der geplante Vier-Meter-Korridor. Bereits heute existieren Bahnwagen im konventionellen Güterverkehr, die aufgrund der niedrigeren Eckhöhe die Schweiz nicht passieren dürfen. Sarigecili: “Eine Ausweitung auf 4,20 Meter Eckhöhe ermöglicht eine Laderaumoptimierung, das heisst die Ausnutzung der zugelassenen Waggon-Breite bis zu einer Durchladehöhe von 3 Meter.”

 

Ohne Luino-Linie gerät die Verlagerung ins Stocken   Eine Lanze für die Verlagerungspolitik der letzten zehn Jahre bricht der Schweizer Kombi-Operateur Hupac. Auf den alpenquerenden Strecken befördert der kombinierte Verkehr mehr Güter als der Strassenverkehr (17 Mio. t gegenüber 14 Mio. t), er ist stärker gewachsen als die Strasse (+ 65% gegenüber +61%) und er erspart der Bevölkerung den Transit von etwa 800.000 Lkw-Fahrten jährlich. Dass dieses Ergebnis auf einer dicht befahrenen, über 125-jährigen Bahninfrastruktur mit unzähligen Engpässen im Norden wie im Süden erzielt werden konnte, ist der koordinierten Anstrengung von Markt, Bahnen und Verkehrspolitik zu verdanken. Mit der Gründung von SBB Cargo International unter Beteiligung von Hupac sei es gelungen, das betriebliche Knowhow der SBB mit der privatwirtschaftlichen Ausrichtung des Kombi-Operateurs zu verbinden. Diese Synergien haben zum erwünschten Erfolg geführt. „Defizitäre Staatsbahnen in ganz Europa sind ein enormes Risiko, denn sie verzerren das Marktgeschehen und behindern die Marktöffnung“, warnt Hupac Direktor Bernhard Kunz. Sorgen bereitet Hupac der sich abzeichnende Strategiewechsel bei der Diskussion um die Streckenführung des 4-Meter-Korridors: Die Priorität wird zunehmend auf die Chiasso-Linie gelegt, während die Luino-Linie, auf welcher 80% des unbegleiteten kombinierten Verkehrs (UKV) via Gotthard fährt, aufs Nebengleis gerät. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass das Nadelöhr Mailand keine Kapazitäten für die Einrichtung eines leistungsfähigen Güterverkehrskorridors für 750 Meter lange Züge zu den bestehenden und den geplanten Terminals im Raum Mailand bietet. Mit der Realisierung der Neubaustrecke “Gronda Est” kann wegen Finanzierungsengpässen wohl erst in ferner Zukunft gerechnet werden. „Bis zu diesem Zeitpunkt kann das bestehende UKV-System via Luino nicht an den angestrebten Produktivitäts- und Marktvorteilen der NEAT partizipieren“, erklärt Kunz. Sinnvoll sei daher eine Zwei-Stufen-Strategie mit dem massvollen Ausbau der Linie Bellinzona-Luino-Novara, welche mit einer Neigung von 12‰ als einzige Flachbahnstrecke via Schweiz gilt, und der Einrichtung eines Güterverkehrskorridors Chiasso-Seregno-Bergamo für den künftigen Verkehr. Langfristiges Ziel muss es sein, den kombinierten Verkehr ausgewogen über die drei bestehenden Linien via Luino, Chiasso und Domodossola zu führen.

16.02.2012Zurück
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